bwaack hat geschrieben:Rainer ist heute wieder besonders ungnädig...
Oh nein - ich nicht ungnädig, sondern sage nur die Wahrheit! Aber die Wahrheit wollen ja viele leider nicht hören...
"Was ist Wahrheit?" hat ja Pilatus schon gefragt...! Aber die Wahrheit richtet sich nicht nach uns, sondern wir müssen uns nach ihr richten.
schön, dass es Leute gibt, deren Äußerungen Dich noch zum Nachdenken anregen, mein Beitrag hat das ja nicht geschafft...
Aber ich bin ja auch nicht promoviert und auch nicht A-geprüft.... und meine Erfahrung ist, dass abgeschlossene Prüfungen leider kaum ein Qualitätsmerkmal sind - egal ob im Krankenhaus, beim Heizungsmontieren in der Universität oder im Tonstudio.
Du musst auch keinen "Dr." haben und auch kein A-Examen. Nur: Leute mit dieser Qualifikation wie Dr. Boré haben als ausgebildete Musiker auch geschulte Ohren und wissen wovon sie reden und haben sich auch nicht über Jahre hinweg die Ohren so verbildet wie es viele heutzutage haben und sind auch als "Dr." der Nachrichtentechnik bei weitem nicht so anfällig gegen allerlei Halbwissen und Halbwahrheiten. Dies sollte man nicht vergessen. Und ich möchte auch dem vorbeugen, daß man solche Leute wie Dr. Boré nicht für dumm verkaufen und als "Materialisten" abstempeln soll (vor allem auf dem Gebiet der Musik) nur weil sie mit Formeln, Differentialgleichungen etc. hantieren, und meint, sie könnten einen Violinschlüssel nicht von einem Schraubenschlüssel unterscheiden.
Das Problem ist doch, dass die Fans die so auf Großmembranmikrofone schwören auch nicht bereit sind, mal andere Wege zu gehen.
Ich habe lange Zeit auch Großmembranmikrofone benutzt, vor allem als Stereohauptmikrofon - meist Neumann SM 69fet - über Sinfonieorchestern und U87 und U89 für Bläser und ähnliche. Aber ich bin aus Überzeugung - und nicht durch "Philosophien" - davon abgekommen (und zwar BEVOR ich das Zitat von Dr. Boré zu Ohren bekam!).
Ich bin nicht unbedingt überzeugt von all dem was Jürg Jecklin in seinem bekannten Werk "Musikaufnahmen" schreibt (was ja bei vielen Leuten - vor allem bei Amateuren - schon als die "heilige Schrift der Musikaufnahme" gilt), aber in einem Punkt stimme ich ihm uneingeschränkt zu wenn er schreibt: "Wer seine Arbeit einer 'Philosophie' unterordnet, darf sich nicht wundern, wenn seine Aufnahmen eines Tages nicht mehr marktgerecht sind".
Und das sollten sich die Großmembran-Fans mal auf der Zunge zergehen lassen.
Großmembranmikrofone nehme ich nur noch dort, wo die typischen Verfärbungen nicht mehr störend in Erscheinung treten (z.B. Kontrabaß) oder wo ich die Richtcharakteristikumschaltung mal brauche (habe aber auch einige Kleinmembraner mit umschaltbarer Richtcharakteristik).
Wir arbeiten offenbar in sehr verschiedenen Produktionsumgebungen. Mein Ansinnen bei der Aufnahme ist nicht, eine möglichst genaue Reproduktion zu erstellen, sondern dass meine Aufnahme unter möglichst allen Wiedergabebedingungen den typischen Charakter und den musikalischen Ausdruck der Performance wiederspiegelt.
Na, als ob das nur mit Großmembranmikrofonen möglich wäre...
Und ich habe mit Instrumenten zu tun, deren Physik sich leider oft von der Hör-Phantasie von Publikum und Künstler unterscheidet. Dazu kommt, dass in vielen Arrangements gar kein Platz ist, alle Instrumente mit ihrer individualität wiederzuspiegeln. Ich suche also die Aufnahme zu erstellen, bei der ich denjenigen Anteil des Bogenstrichs so bekomme, wie ich ihn brauche, nicht wie er ist, denn meistens ist das im Sinne vom Künstler auch gar nicht gewünscht.
Ich sage immer wieder: Kein Musiker weiß wie
SEIN Instrument wirklich klingt! - kann er auch gar nicht, weil er es aus einer völlig anderen Perspektive hört als der Zuhörer: Folglich wird er immer falsche Vorstellungen haben was er von einer Aufnahme hört. Ich wundere mich oftmals wie naiv Musiker - egal ob Laie oder Profi - sind, wenn sie sagen: "So habe ich nicht gesungen"... "so singe ich nicht.."... "so spiele ich/spielen wir nicht...." Was für ein naiver Quatsch!
Als ich mich in der Schule im Englischunterricht (unser Lehrer hatte unsere Leseübungen mal aufgenommen) zum ersten Mal vom Tonband hörte war ich erschrocken und konnte es kaum glauben dass das meine Stimme sein sollte! Und das trotz billigem Mikrofon!
Ich freue mich, wenn ich Griffgeräusche einer Gitarre schon durch die Mikronierung bedämpfen kann - und dabei kann mir ein Großmembranmikrophon helfen.
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Wer behauptet, dass das nur mit einem Großmembranmikrofon ginge, hat bestimmt noch keine andere Alternative probiert.
Ich stimme zu, dass im Zeitalter der völlig frei parametrisierten digitalen Filter der färbende Charakter durch die Wahl des Mikrophons besser ersetzt werden kann - auf analogen Pulten waren die steilsten Flanken eigentlich nur durch Mikrofonierung zu erreichen.
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Das ist mir etwas missverständlich: Sollte es nicht heißen "durch die Wahl der Filtercharakteristik" anstatt durch die Wahl der Mikrofone?
dann nerven mich extrem die typischen Mittenverfärbungen im Gegensatz zu kleinmembranigen Mikrofonen - hört man beim ersten Bogenstrich schon!.
Dann ist es wohl Zeit, mit der Mikrofonposition zu experimentieren....
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Beim Stereohauptmikrofon noch mit der Position experimentieren?
Glaube mir: Ob das Ding ½ Meter an der Geige steht, oder 10 Meter entfernt: Ich höre sofort ob da ein SM 69 / U8x oder ein KM 8x /CMC 5x im Einsatz ist!
Sei versichert, wenn ich ein perfektes Instument, einen perfekten Interpreten, einen perfekten Raum habe und die Wiedergabebedingungen meiner Aufnahme selbst bestimmen kann, dann nehme ich bestimmt auch eine Kleinmembrankugel...
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Wenn ich Dich richtig verstehe: Du hast weder einen perfekten Raum, noch einen perfekten Interpreten, noch ein perfektes Instrument: Und Du willst dieses Nicht-Ideal durch ein noch unperfekteres Mikrofon noch weiter unperfektionieren ?
Wiedergabebedingungen: Man sollte wirklich mal darüber nachdenken, ob es denn Sinn und Zweck einer jeden Musikproduktion (ob Klassik oder Pop) ist, dass sie auch noch auf jeder billigen Küchenquäke noch perfekt klingt?
...kommt noch soweit, dass einer sagt: "Ich habe noch einen alten VE, warum klingt es denn da so miserabel?"
B.T.W.: Ein Kollege von mir hat tatsächlich noch einen alten funktionierenden VE 301! Und der klingt besser als manche moderne Küchenquäke!
Das Problem dieser ganzen Großmembranphilosophie ist viel mehr: Man will eingefahrene Geleise nicht verlassen und ist nicht bereit auch nur mal versuchsweise neue Wege zu gehen - haben mir Leute vom Rundfunk selbst schon gesagt. Unsere Ohren gewöhnen sich sehr schnell an einen gewissen "Sound" - und viele haben sich ihre Ohren durch technische Unzulänglichkeiten im Laufe der Jahre verbildet (oder warum schwören denn so viele noch auf das gute alte "U47" [gemessen am heutigen Stand der Technik ist dieses alles andere als "gut"]) - daß es schwer ist, sich von diesen Gewohnheiten zu trennen.
Ich habe damals einen radikalen Schlußstrich gezogen: Weg mit dem analogen Tonband - Umstieg auf "Digitalaufnahme", weg mit dem analogen Mischpult - Umstieg auf "Digitalpult" und weg mit den Großmembranern - Umstieg auf Kleinmembraner! Und ich habe es nicht bereut - und meine Kunden sind mir deswegen überhaupt nicht böse!
Und der Glaube der Anfänger - wie es ebs schon erwähnt - "Großer Künstler-Großes Mikrofon", man muß ja Eindruck schinden!
Interessant ist nur, dass wenn man heutzutage im Fernsehen Musiksendungen sieht, immer mehr Kleinmembranmikrofone im Einsatz sind, wo sonst die großem Monster standen.
Es ist viel schwerer, die typischen Verfärbungen von Großmembranmikrofonen mit dem EQ weg zu entzerren, als ein Kleinmembranmikrofon per EQ auf "großmembranig" zu trimmen. Das merke ich am deutlichsten, wenn ich für Orgelaufnahme ein Neumann "QM 69" verwende und das dann per EQ so trimme damit es einigermaßen wie ein Kleinmembraner klingt. Das QM 69 nehme ich - weil ich in diesem Fall abhängen muß - nur aus Bequemlichkeit und weil ich die Richtcharakteristik durch die Mischung am Pult fernsteuern kann.
Und das QM 69 habe ich mir nur deshalb damals gekauft, weil Neumann die Fertigung dieses Mikrofons eingestellt (ist ja ein "Quadromikrofon") und es das vorletzte war was sie am Lager hatten!
Und nochetwas als Nachtrag: Je neutraler ein Mikrofon ist, desto universeller verwendbar ist es. Das ist der Entwicklungsleitsatz der Firma Schoeps! Und die bauen ja bekanntlich ausschließlich Kleinmembranmikrofone.
MfG
Rainer