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von AH » Mo 31. Mär 2008, 14:15
Hallo,
in der bisherigen Diskussion wird m.E. unzureichend zwischen den Eigenschaften elektrostatischer Lautsprecher und den Eigenschaften kommerziell erhältlicher elektrostatischer Lautsprecher unterschieden.
So ist es z.B. kein Naturgesetz, daß elektrostatische Lautsprecher nur als Dipole funktionieren und nach hinten Schall abstrahlen, wenngleich das bei den meisten kommerziell erhältichen Systemen (leider) der Fall ist. Es ist ebensowenig ein Problem, hinten geschlossene Gehäuse für elektrostatische Lautsprecher anzubieten, wie für dynamische.
Versucht man den Unterschied auf den Punkt zu bringen, dann haben elektrostatische Lautsprecher ein ungünstigeres Verhältnis aus Masse und einwirkender Kraft im Vergleich zu dynamischen Lautsprechern, daher benötigen sie zur Erzielung eines vergleichbaren Wirkungsgrades eine wesentlich größere Fläche.
Nun kommt aber der Vorteil: Große Schall abstrahlende Flächen sind aufgrund der gleichmäßigen Krafteinwirkung auf die Membrane auch viel problemloser realisierbar, als bei dynamischen Systemen, deren Membrane nur in einem kleinen Bereich angetrieben wird.
Wenn es gelingt, das Bündelungsmaß frequenzlinear zu halten (z.B. durch Segmentierung wie beim Quad ESL 63), dann ist die unvermeidlich stärkere Richtwirkung von Flächenstrahlern für viele Anwendungen m.E. eher als Vorteil zu werten, da die Bedämpfung des Raumes nicht so aufwendig wird. Zudem könnte man das Problem verringern, daß Räume aufgrund einer notwendigen starken Bedämpfung als "unangenehm" empfunden werden.
Die Beobachtung, daß Phantomschallquellen auf den bisher kommerziell erhältlichen Systemen zu groß geraten, habe ich auch mehrfach gemacht. Ein einzelner elektrostatischer Lautsprecher klingt alleine meist bereits etwas "stereoartig" (phasig, bis hin zu einem leichten Druckgefühl bei Rosarauschen), was ich auf interaurale Pegel- und Laufzeitdifferenzen aufgrund einer gestörten Wellenfront zurückführe. Das dürfte damit zusammenhängen, daß die kommerziell erhältlichen Elektrostaten eher als DML-Lautsprecher (distributed mode loudspeaker) funktionieren, was man in Ihrer Richtcharakteristik (es fehlen die Nebenmaxima, die man erwarten müßte) und ebenso bei einer Sinusmessung des Freifeld-Frequenzgangs erkennt. Der Freifeld-Frequenzgang ist sehr "zappelig" und dieses Gezappel ist auch noch stark winkelabhängig (was m.E. zu hörbaren interauralen Pegel- und Laufzeitdifferenzen führt).
Ich halte dies aber auch nicht für ein Naturgesetz. Wenn es gelingen sollte, eine ungestörte, ebene Wellefront mit einem Flächenstrahler zu erzeugen, wird die Phantomschallquellenbildung einwandfrei sein. Die zu großen Phantomschallquellen sind kein Charakteristikum des Flächenstrahlers an sich. Auch ein Kugelstrahler erzeugt in großem Abstand quasi eine ebene Wellenfront. Generell halte ich die Krümmung der Wellenfront für kaum relevant bezüglich der Phantomschallquellenbildung und wenn sie bedeutend wäre, müßte man einen exakten Abstand von einem Kugelstrahler für korrekte Stereowiedergabe definieren.
Elektrostatische Systeme haben gegenüber dynamischen zusätzlich den Vorteil geringer thermischer Dynamikkompression (große Austauschfläche, da wird nichts warm im Gegensatz zur Schwingspule des dynamischen Lautsprechers) und sie weisen oft sehr geringe nichtlineare Verzerrungen auf (auch wegen der großen Fläche, die nur geringe Amplituden erfordert).
Mein Fazit: Alle mir bekannten kommerziell erhältlichen elektrostatischen Systeme sind als Abhörlautsprecher so gut wie unbrauchbar, v.a. wegen mangelhafter Phantomschallquellenbildung und zusätzlich wegen rückwärtiger Schallabstrahlung. Das ist aber nicht dem Prinzip geschuldet, sondern einer mangelhaften Ausführung. Generell sehe ich ein gutes Potential, v.a. wenn man bedenkt, wie leicht sich die Richtwirkung (quasi auf Knopfdruck) eines solchen Systems verändern läßt. Die starre Segmentierung des alten Quad ist ja antiquiert, man könnte heute auf Knopfdruck ganz verschiedene Abstrahlcharakteristiken mit nur einem Lautsprecher realisieren.
Gruß
Andreas